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Deutsche Aktien: Wichtige Überlegungen und unangenehme Wahrheiten angesichts der aktuellen Gaskrise

VonFrank Sauerland

Jul 5, 2022
Deutsche Aktien: Wichtige Überlegungen und unangenehme Wahrheiten angesichts der aktuellen GaskriseBild von Alexey Hulsov auf Pixabay

5.7.2022 – Ein Artikel von Frank Sauerland – Sprechen wir ein paar unangenehme Dinge an. Wahrheiten, die niemand gern hören will. Welche Investoren aber werden durchdenken müssen. Zumindest solche Investoren, die kein Geld verlieren wollen in den nächsten Monaten und Jahren.

Es wird eine harte Zeit werden. Weil sie anders sein wird als die Zeit, die wir kennen. Der Krieg in der Ukraine klärt. Er verdeutlicht Linien, die zuvor nur skizziert waren. Deutschlands Wohlstand, die Exportweltmeisterschaft bei Gütern und Moral benötigt eine Komponente, einen Rohstoff, der nicht ersetzbar ist: billiges russisches Gas.

Es muss Gas sein und es muss billig sein und deswegen kann oder konnte es nur aus Russland kommen. Alle anderen Lieferanten sind teurer. Sie können nicht billiger liefern, sie brauchen es nicht und sie wollen es nicht, es liefe gegen ihre Interessen.

Beim Heizen und in der Stromerzeugung ließe sich Gas ersetzen. Es wäre aufwändig, physikalisch möglich, ob es politisch durchsetzbar wäre, weiß ich nicht. Unersetzbar ist Gas in der chemischen Industrie. Auf die Focus-Interviewfrage, was passiere, wenn nicht genug Gas geliefert würde, antwortete BASF-Chef Martin Brudermüller im April: „Es gibt keinen Plan B. Wir sind auf Gaslieferungen angewiesen.”

BASF betreibt in Ludwigshafen am Rhein den größten zusammenhängenden Chemiestandort der Welt. 39.000 Beschäftigte stellen dort Grundstoffe her, zum Beispiel Ammoniak, die entscheidende Zutat für Stickstoffdünger, welcher Feldfruchterträge ermöglicht, die in solcher Höhe unvorstellbar waren vor Justus Liebigs Entdeckung der Wichtigkeit des Stickstoffs für den Pflanzenwuchs und der großtechnischen Kunstdüngerherstellung durch BASF ab 1910. — Hier liegt eine der Quellen für Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg und für den Wohlstand bis in die heutige Zeit. Fehlt das billige Gas, wird die Wettbewerbsfähigkeit leiden. Als Investor kann ich das beobachten, ich kann es analysieren, aber ich kann es nicht ändern. Was ich jedoch ändern kann, ist die Ausrichtung meines Depots.

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Denn Ammoniak und Kunstdünger werden künftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit andere Staaten und Unternehmen mit billigem russischem Gas produzieren. Weiter Produkte der chemischen Industrie könnten in Deutschland beim Ausbleiben von Günstiggaslieferungen kaum zu Preisen hergestellt werden, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Probleme bekommen Hersteller, die Energie-intensive Prozesse fahren müssen wie Glashütten, Stahl- und Aluminiumwerke. Das Ausbleiben von günstigen Gaslieferungen schwächt die Wirtschaftsstandorte Deutschland und Europa. LNG-Gas aus Katar oder USA wird im Vergleich zum Gas aus Russland zu teuer sein, um industrielle Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, und die neuen Gaslieferländer dürften kaum Interesse daran haben, ihr Gas billig zu verkaufen. Denn der hohe Preis ist auch ein Schutzwall um die eigene Industrieproduktion.

Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Aktienunternehmen wird darüber hinaus künftig durch weitere Faktoren negativ beeinflusst werden.

  • Emmissionszertifikate belasten nach Expertenangaben jede Tonne industrietechnisch ausgestoßenes Kohlendioxid mit 90 Euro, und das verdoppelt den Strompreis gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern. Die Verknappung und Verteuerung von Kohlendioxid-Zertifikaten ist in der Europäischen Union politisch gewollt, die Umwelt soll damit geschützt werden.
  • Wind- und Sonnenenergie steuerten laut Auskunft von Fachleuten im vergangenen Jahr 5 Prozent zur gesamten Energieversorgung Deutschlands bei. Weht der Wind schwach und scheint die Sonne wenig, so werden deutsche Betriebe aus den Stahl- und Metallbranchen bereits heute von Fall zu Fall gebeten, ihre Produktion zu drosseln, damit die Netze stabil bleiben. In der DDR-Wirtschaft waren derartige Produktionsdrosselungen vor allem in Winterzeiten bekannt. In Westdeutschland lachte man darüber — und produzierte unter Volldampf die Konkurrenz in Grund und Boden. Die Zeiten ändern sich!

Als vorausschauender Investor habe ich das zur Kenntnis zu nehmen und bei meinen Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen.

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Auch eine Nicht-Entscheidung meinerseits wäre übrigens eine Entscheidung. Der deutsche Aktienmarkt wird von internationalen Investoren, vornehmlich aus den USA, dominiert. Zögen nur wenige von ihnen einen kleinen Teil ihres hier investierten Kapitals ab, um sich in anderen, potentiell künftig produktiveren Regionen der Erde an Aktienunternehmen zu beteiligen, sänken hiesige Börsenkurse betroffener Unternehmen signifikant. Bin ich dann noch bei solchen Unternehmen investiert, brauche ich starke Nerven und einen klare Argumentation, warum ich weiter an den Kursabsteigern festhalte.

Zum Autor dieses Artikels

Der Autor Frank Sauerland investiert seit 1996 in deutsche und internationale Aktien. Auf seiner Webseite depoleon.de veröffentlicht Frank Sauerland wöchentlich für engagierte Privatinvestoren die Aktienmarktanalyse „Lage & Szenarien”.

Ein Artikel von Frank Sauerland.

Es erfolgt keine Anlageberatung oder Steuerberatung. Der Artikel stellt keine Empfehlung zum Kauf-, Verkauf oder Halten des Wertpapiers / Anlageinstruments dar. Es besteht ein Verlustrisiko, bis hin zum möglichen Totalverlust! Du solltest nur mit zu deiner persönlichen Situation angepasstem Kapital handeln. Es wird keine Haftung für Fehler oder Irrtum im Beitrag übernommen, ebenso gibt es keine Garantie für die Vollständigkeit des Artikels. Lies auch die Risikohinweise bei Wertpapierinvestments. Redaktioneller Beitrag, keine Anlageempfehlung.
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